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Wachstumsausblick Europa – Mai 2025: Protektionismus als Konjunkturbremse
Zunehmender Protektionismus belastet den Euroraum
Die seit Jahresbeginn schrittweise eingeführten Zollerhöhungen der US-Regierung markieren einen historischen Wendepunkt im Welthandel. Der neue durchschnittliche US-Zollsatz liegt über dem Niveau der Großen Depression in den 1930er-Jahren und sorgt für erhebliche Verunsicherung bei den Unternehmen. Der exportorientierte Euroraum ist davon besonders betroffen: Verzögerungen in den Lieferketten, sinkende Nachfrage aus Drittländern – insbesondere aus Asien – sowie die Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dollar belasten die preisliche Wettbewerbsfähigkeit europäischer Anbieter.
Schätzungen zufolge könnte der zunehmende Protektionismus das Bruttoinlandsprodukt im Euroraum bereits in diesem Jahr spürbar dämpfen – je nach Intensität des Handelskonflikts und der handelspolitischen Gegenmaßnahmen um gut 0,3 Prozentpunkte. Auch der vom Internationalen Währungsfonds prognostizierte Rückgang des Welthandels auf nur noch 1,7 Prozent Wachstum im Jahr 2025 (nach 3,8 Prozent im Vorjahr) unterstreicht die Breitenwirkung der Handelskonflikte, die über die transatlantischen Beziehungen hinausgehen.
Öffentliche Investitionen stärken mittelfristig die Nachfrage
Ein positiver Impuls kommt von der Fiskalpolitik: Viele Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, haben ihre öffentlichen Investitionen deutlich ausgeweitet – mit den Schwerpunkten Verteidigung und Infrastruktur. Diese Maßnahmen dürften ab 2026 zunehmend wachstumswirksam werden. Kurzfristig bleiben die Effekte jedoch begrenzt, nicht zuletzt wegen der für große Investitionsprojekte typischen Verzögerungen bei der Umsetzung. Zudem stellt sich die Frage, wie diese fiskalischen Vorhaben insbesondere in Deutschland mit den europäischen Fiskalregeln in Einklang gebracht werden können.
Gedämpfte Erholung, anhaltende Unsicherheit
Nach einem schwachen Jahr 2024 bleibt der Ausblick somit auch für 2025 verhalten. Trotz robuster Arbeitsmärkte und gestiegener Realeinkommen rechnen wir nur noch mit einem Wachstum von 0,8 Prozent für den Euroraum – deutlich unter den Erwartungen zu Jahresbeginn (ein Prozent).
Die Entwicklung in den vier größten Mitgliedstaaten ist uneinheitlich:
- Deutschland: minus 0,2 Prozent
- Frankreich: plus 0,6 Prozent
- Italien: plus 0,4 Prozent
- Spanien: plus 2,5 Prozent
Die Inflationsrate dürfte sich trotz etwaiger Gegenzölle bei 2,2 Prozent stabilisieren. Derzeit gleichen sich Wachstums-, Wechselkurs- und Zolleffekte weitgehend aus. Die geopolitische Unsicherheit und die unklare künftige Handelspolitik bleiben jedoch ein zentrales Prognoserisiko.
Empfehlungen für eine widerstandsfähige europäische Wirtschaft
Um den wirtschaftlichen Herausforderungen zu begegnen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas langfristig zu sichern, sind entschlossene politische Maßnahmen erforderlich. Die Wachstumskräfte im Euroraum sollten durch die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank unterstützt und durch eine aktivere Finanzpolitik in den Mitgliedstaaten mit erhöhtem Verteidigungs- und Infrastrukturbedarf gefördert werden. Gezielte Reformen zur Stärkung des Wachstumspotenzials sind notwendig, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, bei den Rahmenbedingungen für private Investitionen – etwa durch Bürokratieabbau, Reduzierung von Berichtspflichten und Vertiefung des Binnenmarktes – sowie durch eine offensive Innovationsagenda auf nationaler und europäischer Ebene im Einklang mit den Empfehlungen des Draghi-Berichts und des Kompasses. Darüber hinaus sollte der Abschluss neuer Handelsabkommen geprüft werden.
Die europäische Wirtschaft steht 2025 vor großen Herausforderungen, hat aber auch die Chance, durch eine kluge Wirtschafts- und Strukturpolitik die Grundlagen für ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Wachstum zu schaffen. Entscheidend wird sein, ob Europa in der Lage ist, entschlossen und koordiniert auf die drängenden Aufgaben zu reagieren. Nur wenn jetzt die richtigen Weichen gestellt werden, kann die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents langfristig gesichert werden.